Geschichtliche Entwicklung
Im Jahr 1902 meldete Paul Rudolph eine Objektivkonstruktion mit 4 Linsen unter der Bezeichnung Tessar für die Firma Carl Zeiss zum Patent an. Das Tessar stellt einen großen Fortschritt bei der Konstruktion von Objektiven dar, da erstmals alle wichtigen Abbildungsfehler in einem Objektiv korrigiert werden konnten. Zudem war das Tessar durch seinen einfachen Aufbau gut für eine Massenproduktion geeignet.
Die enorme Bedeutung wird auch daran deutlich, dass die beiden hinteren Linsen des Tessars jahrzehntelang das Firmenlogo von Carl Zeiss Jena bildeten. Sie sind bis heute im Emblem des Fußballclubs Carl Zeiss Jena zu sehen [5 6 🔗]. Allerdings sind diese beiden Linsen auch in anderen Objektiven, wie z.B. dem Planar, vorhanden.
Bis zum 2. Weltkrieg konnten verschiedene Konstrukteure die Lichtstärke immer weiter erhöhen, bis schließlich Willy Merté 1930 für Carl Zeiss ein Tessar mit f/2.8 entwickelte. Dies wird i.A. als die größtmögliche Lichtstärke des Tessars angesehen, allerdings gab es bereits in den 1920er Jahren Tessare mit f/2.7 mit einen kleinen Bildkreis. Weiterhin entwickelte Willy Merté unter Verwendung asphärischer Linsen ein Tessar mit f/2.0, welches jedoch nie in die Serienproduktion gelangte.
Bis in die 1930er Jahre wurde der Markt von Triplets (Objektive mit 3 Linsen) und Tessaren dominiert. Wegen der höheren Zahl der Linsen und der Verkittung der hinteren Linsen war das Tessar teurer in der Herstellung. Es erreichte jedoch eine bessere Abbildungsleistung, wodurch es sich, insbesondere wegen der hohen Schärfe bis zum Bildrand, den Ruf als „Adlerauge“ und „Schärfenwunder“ erwarb und am oberen Ende des Marktes angesiedelt war.
Seit dem Ende der 1920er Jahre wurden jedoch moderne, vor allem lichtstärkere Objektive, wie z.B. das Biotar und das Sonnar entwickelt. Die Situation auf dem Markt hatte sich umgekehrt: das Tessar hatte weniger Linsen und damit geringere Herstellungskosten als konkurrierende Objektivkonstruktionen. Es konnte sich durch sein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis noch für Jahrzehnte im unteren Marktsegment halten.
Durch die wenigen Luft-Glas-Übergänge waren die Lichtverluste gering: das Tessar lieferte dadurch starke Kontraste und konnte die schwache Lichtstärke teilweise ausgleichen. Auch dieser letzte Vorteil schwand schließlich durch die Einführung der Mehrschichtvergütung dahin.
Mitte der 1980er Jahre kostete in der DDR ein Tessar 2.8/50 aus Jena 140 DDR-Mark, während man für das Prakticar 2.4/50 mit 275 DDR-Mark fast das Doppelte verlangte [9 🔗]. Die zeigt deutlich, wie das Tessar weit an das untere Ende des Marktes gerutscht war.
Die Entwicklung in Jena nach dem 2. Weltkrieg stellt sich wir folgt dar: die USA und die UdSSR entnahmen als Reparation Maschinen, Material, Konstruktionspläne und Patente. Wichtige Fachleute wie Willy Merté wurden abgeworben.
In dieser katastrophalen Situation versuchte man einen Neuanfang. Zunächst wurde ein Tessar mit f/3.5 und einer Brennweite von 50mm produziert. Harry Zöllner, der Leiter der Abteilung Photo in Jena, berechnete 1947 das Tessar 2.8/50mm neu, um es auf aktuelle Glassorten anzupassen. Dieses Modell steht für den Wiederaufstieg von Carl Zeiss in der DDR. Lange Zeit trug es das begehrte Gütesiegel 1Q. Eine spätere Überprüfung mit Hilfe von computergestützten Berechnungen zeigt auf, dass Harry Zöllners Konstruktion kaum noch Verbesserungspotential hat.
Somit wurde das Tessar 2.8/50 jahrzehntelang optisch unverändert produziert. Die Weiterentwicklung beschränkte sich auf Designänderungen von Aluminium über Zebra zu Schwarz, die Einführung der Mehrschichtvergütung, die Reduzierung der Blendenlamellen von 14 auf 12, 8, 6 und schließlich 5, sowie Anpassungen an verschiedene Kameraanschlüsse. Schließlich lief die Produktion 1988 aus.
Das Tessar 2.8/50 ist in der Altglasszene recht beliebt und auf dem Gebrauchtmarkt reichlich und günstig vorhanden. Die Tessare sind oft in einem sehr guten Zustand, da sie, im Gegensatz zum Domiplan, hochwertige Luxusgüter waren. Zudem war die Fertigungsqualität bei Zeiss wesentlich besser als in der Massenproduktion des Domiplan.
Das rote T
Ältere Exemplare des Tessars 2.8/50 tragen oft ein rotes „T“, um das sich zahlreiche Legenden ranken. Dieses rote „T“ darf man nicht verwechseln mit einem weißen „T“, welches Zeiss bei manchen Exportvarianten aus rechtlichen Gründen anstelle des Wortes „Tessar“ verwendet hat.
Gern wird von Händlern behauptet, dass Versionen mit rotem „T“ speziell vergütet oder besonders hochwertig sind und für den Export bestimmt waren. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die auf dem deutschen Gebrauchtmarkt recht häufig angebotenen Exemplare mit rotem „T“ alles Exportvarianten waren.
Nach dem 2. Weltkrieg begann man in Jena zunächst mit der Produktion unvergüteter Objektive, ging jedoch sehr schnell zur Produktion vergüteter Objektive über, welche man auffällig mit einem roten „T“ kennzeichnete. Als die Vergütung mehr und mehr selbstverständlich wurde, verzichtete man im Laufe der 1950er Jahre auf das rote „T“.
Es gibt allerdings keine Seriennummer, die die Grenze zwischen beiden Varianten bildet. Ich habe Verkaufsportale im Netz durchsucht: Die früheste Versionsnummer ohne rotem „T“ war 4.074.036, die späteste Versionsnummer mit rotem „T“ war 4.302.217. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Seriennummern nicht chronologisch vergeben wurden (siehe z.B. die Tabelle unter [8 🔗]). Interessant ist die Frage, ob man für jede Anschlussvariante eine Serienummer finden kann, die die Grenze zwischen Versionen mit bzw. ohne rotem „T“ bildet.
Ich habe bei meinen 5 Exemplaren Fotos mit Lichtreflexionen aufgenommen. Dabei kann bei allen 5 Exemplaren Unterschiede in der Vergütung erkennen. Zeiss hat offenbar permanent mit verschiedenen Vergütungen experimentiert.
Meine Tessare
Im Herbst 2023 überlegte ich, ein Tessar 2.8/50 anzuschaffen.
- Nach meinen Erfahrungen mit dem Industar-2 3.5/50 wollte ich ein lichtstärkeres und hochwertigeres Tessar.
- Meine bisherigen alten Objektive zeigen abgeblendet auf f/2.8 kaum noch spezifischen Charakter und zumeist deutlich sechseckige Bokehmuster. Daher überlegte ich schon länger, ein Objektiv mit Anfangsblende f/2.8 anzuschaffen.
- Ich wollte ein Objektiv mit möglichst vielen Blendenlamellen, damit die Bokehmuster auch beim Abblenden nahezu kreisrund bleiben. Modelle mit 14 Blendenlamellen werden jedoch als seltene Raritäten gehandelt.
Im Oktober 2023 kaufte ich daher eines der häufig angebotenen, günstigen Aluminium-Varianten mit Altix-Anschluss, 12 Blendenlamellen und rotem „T“.
Im April 2024 sahr ich auf einem Flohmarkt ein sehr günstiges Aluminium-Tessar mit M42-Anschluss, 12 Blendenlamellen ohne rotem „T“, welches ich, vor allem wegen der bläulichen Vergütung, zu Vergleichszwecken kaufte.
Im März 2025 sah ich auf einem Flohmarkt ein Aluminium-Tessar mit Altix-Anschluss, 12 Blendenlamellen ohne rotem „T“. Ich wollte das Tessar kaufen, um für Vergleiche zwei, bis auf das rote „T“, vollkommen baugleiche Exemplare zu besitzen. Der Händler bot mir einen günstigen Preis an, wenn ich dazu noch ein vollkommen verdrecktes Zebra und ein schwarzes Exemplar mit defekter Blende nehme. Nun habe ich also fünf 2.8/50-Tessare.
Das Altix-Tessar mit T
Aus verschiedenen technischen Gründen kaufte ich im Oktober 2023 eines der häufig angebotenen, günstigen Varianten mit Altix-Anschluss, 12 Blendenlamellen und rotem „T“, welches ich auf M42 umbaute. Es hat die Seriennummer 4092727 und ist ca. 1955 hergestellt [8🔗].
Das Objektiv war hervorragend erhalten. Nach Angaben des Vorbesitzers wurde es kaum benutzt und lag jahrzehntelang im Wohnzimmerschrank. Fotos vom Umbau sind unten zu sehen.




Am Ostermontag 2023 unternahm ich eine Radtour von Bad Dürrenberg nach Naumburg, wobei ich das Pentax Asahi 1.4/50 ausführlich testete. Im April 2024 unternahm ich, wiederum bei sehr sommerlichen Wetter, fast die gleiche Tour, diesmal jedoch mit dem Altix-Tessar (gelbbraune Vergütung, rotes „T“). Bei einigen Fotos zur Mittagszeit hatte ich erhebliche Probleme mit der Farbabstimmung.





Das M42-Alu-Tessar mit blauer Vergütung
Im April 2024 bekam ich auf einem Flohmarkt ein ebenfalls sehr gut erhaltenes Exemplar mit Aluminiumgehäuse für M24 mit 12 Blendenlamellen ohne rotem „T“. Es hat eine auffallend hellblaue Vergütung und trägt die Serienummer 4320585. Die Anpassung auf Canon EF war, wegen des hinten weit herausstehenden Gehäuses, recht schwierig und nur behelfsmäßig möglich. Fotos vom Umbau sind unten zu sehen.
Das Altix-Tessar ohne T
In meinem 3er-Pack vom Flohmarkt war ein sehr gut erhaltenes, späteres Modell mit Altix-Anschluss ohne rotem „T“. Es trägt die Seriennummer 5079149 und wurde in den 1950er Jahren gebaut. Ich habe die Flügel komplett heruntergefeilt und einen M39/M42-Adapter angeklebt, um es auf M42-mount zu bringen. Es hat 12 Blendenlamellen. Ich kann bei den Fotos keine Unterschiede zu dem älteren Altix-Tessar mit „T“ erkennen.
Das Zebra
In meinem 3er Pack vom Flohmarkt war ein vollkommen verdrecktes Zebra mit 5 Blendenlamellen und der Seriennummer 9.218.481 aus den frühen 70er Jahren. Es ist noch nicht mehrschichtvergütet. Nach der Reinigung stellte ich Schäden an der Frontlinse fest. Trotzdem sind die Fotos qualitativ mit den anderen Tessaren vergleichbar. Ich weiß noch nicht, was ich mit diesem Exemplar anstelle. Ich überlege, die Linsen aus dem behelfsmäßig umgebauten M42-Alu-Tessar einzubauen, oder die Blende aufzuschleifen. Im Moment arbeite ich jedoch an anderen Projekten.
Das schwarze Modell
Nach den Zebras wurden in der DDR ab 1974 drei schwarze Modelle mit Springblende, A/M-Umschalter, 5 Blendenlamellen und Mehrschichtvergütung gebaut, die, bis auf geringe Unterschiede im Design, identisch aufgebaut waren [4 8🔗]. In meinem 3er-Pack vom Flohmarkt im März 2025 war ein Modell mit der Seriennummer 10745410 aus der mittleren Phase von 1976 bis 1984. Die Entfernungsskala in Fuß ist in grüner Farbe gehalten, und der Rand am Fokusring ist noch verchromt.
Die Blendenlamellen bewegten sich nicht mehr, wobei eine permanent geschlossen, die anderen ständig offen waren. Ansonsten war das Objektiv in einem sehr guten Zustand.
Ich habe zunächst einige Fotos mit der defekten Blende gemacht. Dann ist eine bizarre Kausalkette eingetreten: Ich wollte eine Lilie im Gegenlicht fotografieren. Als ich einen Step-Up-Ring abschrauben wollte, schraubten sich die vordere Abdeckung und der Befestigungsring der Frontlinse mit ab. Somit fiel unerwartet die Frontlinse auf die Glasplatte vom Tisch. Ich baute die Frontlinse sofort wieder ein und ging zu der Lilie, wo ich jedoch keine Schärfe in das Bild bekam. Ich hatte die Frontlinse falsch herum eingebaut.
Wieder in der Wohnung wollte ich die Frontlinse drehen, allerdings war der Befestigungsring verklemmt, so dass ich ihn nicht herausschrauben konnte. Dort sind keine Kerben, um Werkzeug anzusetzen. Es gab jedoch zwei Löcher, an denen ich Werkzeug ansetzen und die gesamte Baugruppe aus den beiden vorderen Linsen herausschrauben konnte. Diese Baugruppe dient jedoch auch als Befestigung der Blendenmechanik. Es lockerten sich zwei Ringe, und die Blendenlamellen fielen heraus.
Hier beschloss ich, eine komplette Restaurierung den Objektivs zu versuchen. Dabei feilte ich auch den Steg ab, um an der Vollformat-DSLR auf unendlich fokussieren zu können. In den Befestigungsring der Frontlinse konnte ich zwei Kerben für das Werkzeug feilen und die Frontlinse drehen. Die Restaurierung ist weiter unten dokumentiert.







Fotos der Objektive







Fazit
Bei den ersten Aufnahmen war ich von dem Seifenblasenbokeh angenehm überrascht. Das Tessar kann seine Verwandtschaft mit dem Cooke-Triplet nicht leugnen.
Seinem Ruf als „Adlerauge“ und „Schärfenwunder“ wird es allerdings nicht ganz gerecht. Man muss hierbei zum einen bedenken, dass der gute Ruf des Tessars vor über 100 Jahren entstanden ist und die Entwicklung natürlich weiter gegangen ist. Zum anderen denke ich, dass man bei der Erhöhung der Lichtstärke Kompromisse bei der Schärfe gemacht hat.
Trotzdem ist mein Tessar 2.8/50 ein sehr gutes historisches Objektiv. Seine große Stärke besteht darin, dass das Bokeh aufgrund der 12 Blendenlamellen auch beim Abblenden kreisrund bleibt. Aus diesem Grund ist es sehr interessant für künstlerische Fotografie, wenn man Blenden von f/2.8 und kleiner verwenden möchte.
Wer sich ein Tessar anschaffen möchte, sollte defintiv zu einer Variante mit 12 (oder 14) Blendenlamellen greifen. Exemplare für Altix-Anschluss sind leicht anzupassen und zumeist günstiger als Domiplan oder das Industar-2. Wer eine hohe Schärfe bei f/2.8 benötigt, sollte sich jedoch nach anderen Objektiven umsehen.