Im Jahr 1902 meldete Paul Rudolph eine Objektivkonstruktion mit 4 Linsen unter der Bezeichnung Tessar für die Firma Carl Zeiss zum Patent an. Das Tessar stellt einen großen Fortschritt bei der Konstruktion von Objektiven dar, da erstmals alle wichtigen Abbildungsfehler in einem Objektiv korrigiert werden konnten. Nach dem Auslaufen des Patentschutzes 1922 bauten alle namhaften Hersteller Objektive vom Tessar-Typ. Das Tessar wurde für Jahrzehnte zum vorherrschenden Konstruktionsprinzip für Objektive, weltweit wurden rund 100 Millionen Exemplare gebaut. Einige Modelle wurden im Volksmund unter der Bezeichnung „Adlerauge“ berühmt.
In den 1950er Jahren brachte die optische Industrie der Sowjetunion mit dem Industar 50-2 ein sehr kompaktes und leichtes 50mm-Objektiv nach der Tessar-Konstruktion mit einer geringen Lichtstärke von f/3.5 auf den Markt. Das Objektiv war für den Massenmarkt im In- und Ausland bestimmt und wurde bis in die 1990er Jahre in immensen Stückzahlen gebaut.
Das Industar 50-2 ist in der Altglasszene reichlich vorhanden und wird kontrovers aber zumeist schlecht beurteilt. Es hat bei weitem nicht den Kultstatus wir die Objektive der Helios-44-Reihe und wird gern als billiges Spielzeug abgetan. In Analogie zum Russelschen Paradoxon wird oft behauptet, dass die Besonderheit des Industar 50-2 darin besteht, dass es nichts Besonderes hat. Es ist wegen starker, unschöner Lensflares berüchtigt, und zuweilen werden die Lensflares als einzig markantes Merkmal genannt. Trotzdem sind die Preise für das Industar 50-2 in den letzten Jahren gestiegen, mitunter wird es teurer als das berühmte, lichtstärkere 50mm f/2,8 Tessar von Zeiss angeboten.
Ich habe im Sommer 2023 ein Industar 50-2 geschenkt bekommen, was seit über 10 Jahren mein erster Neuzugang mit einer geringeren Lichtstärke als f/2.8 ist. Hier zeige ich einige Aufnahmen:



Fazit: Das Industar 50-2 ist mit knapp 70 Gramm bei weitem das leichteste und kleinste meiner Objektive. Ich war, wie viele andere Fotografen, in Anbetracht des Alters, der geringen Größe und des niedrigen Preises, von der Bildqualität angenehm überrascht, was angesichts der geringen Lichtstärke jedoch nicht verwunderlich ist. Insgesamt ist das Tessar dem Cooke-Triplet des Domiplan überlegen.
Das Industar 50-2 stellt in vielen Situation die Farben recht interessant dar. Die Fotos bekommen einen Hauch von Sepia und wirken klassisch. Vielleicht kann man Effekte erreichen, die man mit modernen Objektiven und Bildbearbeitung nicht realisieren kann.
Ich glaube aber nicht, dass das Industar 50-2 eine Rolle in meiner Fotografie spielen wird. Die Lichtstärke ist für eine Festbrennweite zu schlecht, das Bokeh ist uninteressant, die Lensflares sind fürchterlich und wegen der großen Naheinstellgrenze muss man viel mit Zwischenringen arbeiten.